Greg Egan: Diaspora
Während die Science Fiction der 1980er und 1990er Jahre erkennbar näher an die Gegenwart rückte und an die Stelle des verbreiteten Utopismus, gerade hinsichtlich sozialer Verhältnisse, düstere und ungeschönte Blicke auf eine zukünftige Wirklichkeit warf, schrieb der Australier Greg Egan Romane, deren Handlung zwar in der fernen Zukunft und weit von der Erde entfernt angesiedelt ist, sich aber streng an das halten, was wissenschaftlich möglich ist. Also keine Knalleffekte im Weltraum oder Raumschiffe, die mit Warp-Antrieben durch den Äther schweben.
In Diaspora zeichnet Egan das Bild einer post-/transhumanen Zukunft. Zwar gibt es Lebewesen, flesher genannt, die von Menschen abstammen und eine biologische Existenz haben, doch durch die Möglichkeit biologische und genetische Prozesse technisch zu beeinflussen und zu steuern, sind den Erscheinungsformen kaum Grenzen gesetzt. Daneben gibt es sogenannte gleisner roboter, die über individuelle künstliche Intelligenz verfügen, aber an eine physische Erscheinung gebunden sind und die Interaktion mit der physikalischen Umwelt als wesentlich für ihre Existenz erachten. Schließlich gibt es noch die citizens der poleis, diese manifestieren sich als autonome künstliche Intelligenzen in Form von Software, die in künstlichen Realitäten existieren, aber in so wenig direktem Kontakt mit der physischen Umwelt stehen, wie nur irgend möglich. Während viele citizens auf menschliche Vorfahren zurückgehen, die ihre körperliche Existenz aufgegeben haben zugunsten der Existenz in der virtuellen Realität, gibt es auch sogenannte orphans (Waisen), die durch einen kombinatorischen Prozess, der in der Software der polis begründet ist, erzeugt werden.
Neben den Figuren sind es vor allem Zeit und Zeitwahrnehmung, die Egan im Roman geschickt einsetzt. So findet das für die Handlung zentrale kosmische Ereignis (der Zusammenbruch eines Neutronensterns) zwar weit entfernt von der Erde statt, doch der Zeitpunkt der Entdeckung und der Zeitpunkt, zu welchem die Auswirkungen das Leben auf der Erde erreichen liegen nur Tage auseinander. Zugleich ist es so, dass die Zeit in den poleis ihren eigenen Gesetzen folgt, die im Wesentlichen durch die Hardware bedingt sind, auf der die Software der virtuellen Realität und ihrer Bewohner läuft. Daneben ist es den citizens möglich, selbst die Ausführungsgeschwindigkeit ihrer subjektiven Realität und ihres Bewusstseins zu steuern.
Egan gelingt es physikalische und mathematische Theorien, die sonst leicht die Grenzen der eigenen Vorstellung sprengen, auf solche Weise erzählerisch zu verarbeiten, dass sie verständlich und begreiflich sind, selbst wenn er erst den Körper erfinden und erklären muss, der Voraussetzung eines Bewusstseins ist, dass diese Phänomene erfahren kann.
Schlagwörter: de, Greg Egan, Posthuman, Science FictionPermalink Comments off